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Interview: Startups gestalten den afrikanischen Wandel

Die Gründerszene in Afrika ist sehr dynamisch und kreativ. In Startups wie der nigerianischen Telehealth-Plattform DoctorDial des deutschen Internetunternehmers Christian Keller spiegeln sich aktuelle Markttrends und -chancen. Im Gespräch mit blog:subsahara-afrika bietet Afrikaliebhaber Keller u.a. Einblicke in die nigerianische Startup-Landschaft und schildert, welche innovativen Geschäftsideen Aussichten auf Erfolg bieten.

blog:subsahara-afrika: Herr Keller, warum verschlägt es einen deutschen Wirtschaftsinformatiker mit amerikanischer Managementausbildung im ersten Abschnitt seiner beruflichen Karriere nach Afrika?

Christian Keller: Nach fast zehn Jahren als Berater und Manager in Großunternehmen hatte ich das Verlangen nach Veränderung in meinem Leben. Selbstständigkeit hat mich seit jeher begeistert. Und ich habe seit jeher einen Reiz für fremde Kulturen und Gesellschaften verspürt. Als ich 2011 dann ein Beratungsprojekt in Sierra Leone durchführte, war Afrika aus meinem Herzen nicht mehr wegzudenken. Die historische Bedeutung als Wiege der Menschheit, die offene Einstellung der Leute und das enorme wirtschaftliche Potential sind einzigartig. Es wurde zu einem Traum von mir, ein Unternehmen in Afrika zu gründen.

blog:subsahara-afrika: Sie haben mit dem Internet-Marktplatz für Automobile Jumia Cars ein noch recht junges Unternehmen mit Sitz im nigerianischen Lagos geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Keller: Meine Erfahrungen als Managing Director bei Jumia Cars waren sehr intensiv. Ich habe gelernt, dass Entrepreneurship viel hemdsärmeliger, riskanter und kapitalärmer ist, als jeder Job in einem profitablen oder großen Unternehmen. Und als strukturverliebter Deutscher habe ich auf die harte Tour gelernt, mit der nigerianischen Spontaneität und Impulsivität umzugehen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das erste Management-Meeting per Kalendereinladung und Erinnerungsmail einberufen habe – und niemand ist erschienen. Später habe ich dann 80 Mitarbeiter ohne einen Kalender geführt – und dies erstaunlich effektiv.

blog:subsahara-afrika: Für Startups wie Jumia Cars können Technologieinkubatoren eine große Rolle spielen. Die Weltbank zählt in Subsahara-Afrika 104 solcher Gründerzentren, zehn von ihnen befinden sich in Nigeria. Welche Hilfe sind sie für die Gründerszene?

Keller: Inkubatoren und Hubs bieten mittlerweile fantastische Möglichkeiten zum Austausch unter Gleichgesinnten sowie zunehmend Schulungs- und Mentoringangebote. Ich war gerade erst beim Social Change Summit im ccHub, wo beeindruckende Persönlichkeiten wie Ibukun Awosika, Chairman der First Bank of Nigeria, und viele weitere anwesend waren. Leider erst in der Erstehung in Subsahara-Afrika ist ein ernstgemeintes Angebot an Gründerkapital, auch durch die Hubs. Lokalen Investoren fehlt oft das Verständnis für die Langfristigkeit von Technologieinvestitionen, globalen Investoren die nötige Verankerung vor Ort.

blog:subsahara-afrika: Die Anzahl der Inkubatoren deutet auch auf die hohe Dynamik der afrikanischen Startup-Landschaft hin. Lässt sich Lagos bereits in einem Atemzug mit den internationalen Gründerhochburgen New York, London oder Tel Aviv nennen?

Keller: Lagos hat vielleicht nicht die Reife der genannten Standorte, aber genau das macht es so attraktiv. Die Wachstumsraten bei Internetunternehmen übertreffen die anderer Standorte um ein Vielfaches. Während man woanders viel zu oft in kleinen Marktnischen „First World Problems“ löst und einen umkämpften Markt z.B. für, sorry für die Überspitzung, „On-Demand-Hunde-Gassi-gehen-Webseiten“ hat, gestaltet man hier potenziell den Gesellschaftswandel Afrikas mit. Und Startups in Lagos haben dabei meist einen potenziellen Absatzmarkt von 800 Millionen Menschen und die größte Volkswirtschaft Afrikas vor der Tür.

blog:subsahara-afrika: Den afrikanischen Gesellschaftswandel mitgestalten und das enorme regionale Marktpotenzial nutzen könnte die Idee hinter Ihrem neuen Projekt African Founders sein. Was genau verbirgt sich hinter dem von Ihnen in Lagos gegründeten Unternehmen?

Keller: Wir sehen uns als Netzwerk von Gründern, die nachhaltigen Einfluss auf Afrika haben wollen. Ich habe viele ausländische Unternehmen in Afrika an kultureller Ignoranz scheitern sehen. Das simple Kopieren westlicher Effizienz- und Strukturvorstellungen scheint nicht nachhaltig zu funktionieren in einem Umfeld, in dem sich weder Kunden noch Mitarbeiter oder Geschäftspartner durch übertriebene Rationalität oder langfristig orientierte Denk- und Arbeitsweise auszeichnen. Viele lokale Ventures dagegen charakterisiert enorme Kreativität und Leidenschaft, aber auch das Scheitern an mangelnder Struktur, Durchhaltevermögen und Selbstvertrauen. Wir haben kein Patentrezept. Aber wir haben das starke Gefühl, dass es einen Weg gibt, dass afrikanische Unternehmungen ihr eigenes Bewusstsein für Zeit und Struktur sowie Sinn finden. Dieser Findungsprozess scheint mir im Herzen von African Founders zu liegen.

blog:subsahara-afrika: Soweit zur Philosophie von African Founders. Was bedeutet das aber ganz konkret, bzw. wie übersetzen Sie Marktbedürfnisse in entsprechende Angebote?

Keller: Nehmen wir die problematische Gesundheitsversorgung in Afrika: Ein Großteil der Menschen in Afrika hat nur eingeschränkten Zugang zu ärztlicher Versorgung oder lange Anfahrts- und Wartezeiten. Wer einmal den Stau in Lagos oder Accra erlebt hat, versteht, wovon ich spreche. Gleichzeitig hat die Mehrheit der Nigerianer mittlerweile Zugang zu einem Smartphone. Genau hier werden wir mit einem neuen Angebot ansetzen: Mit DoctorDial werden wir Nigerianern eine günstige Möglichkeit bieten, sich von zu Hause aus ärztlich beraten zu lassen – per Videochat, Telefonat oder Textchat mit einem Fach- oder Hausarzt. Die Vorab-Resonanz ist sowohl bei Ärzten wie bei Patienten sehr positiv. Ich bin sehr gespannt, ob wir damit den Nerv des Marktes treffen. Darüber hinaus haben wir eine Reihe von Ventures im Bereich Handwerker- und Fachkräftevermittlung gestartet, wo wir auch verstärkt mit der Delegation der deutschen Wirtschaft in Lagos zusammenarbeiten wollen.

blog:subsahara-afrika: Im Rahmen der Technologiekonferenz DEMO Africa, die letztes Jahr in Lagos stattfand, identifizierte eine Expertenjury aus 650 Bewerbungen 30 Top-Geschäftsideen von afrikanischen Startups. Welche Innovationen hätten Sie als Juror ausgezeichnet bzw. würden Sie unterstützen?

Keller: Eine der identifizierten Top-Ideen, CarPartsNigeria, bezieht sich auf den Ersatzteil-E-Commerce, der sicher ein spannender Markt mit hohen Margen ist. Noch hat es niemand geschafft, die hohe Komplexität aus breiter Produktpalette und schneller Verfügbarkeit in Nigeria hinzubekommen. Auch für einen Marktplatz für Kosmetikprodukte scheint mir Bedarf, wenn man sich die hohen Ausgaben hierfür in der afrikanischen Mittel- und Oberschicht anschaut. Ich unterstütze Startups, wenn ich wirklich vom Bedarf überzeugt bin. Ich selbst bin im Aufsichtsrat eines Unternehmens tätig, das z.B. werbefinanzierten Internetzugang in Universitäten und öffentlichen Bussen ermöglicht. Und ich unterstütze Lagos Laidbac, die ansprechende Souvenirs und Modeartikel für Lagos produzieren und vermarkten. Beide Unternehmen bieten lokale Lösungen für lokale Bedürfnisse.

blog:subsahara-afrika: Welche innovative Idee eines afrikanischen Startups hätte das Potenzial, auch in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein?

Keller: Sicherlich würde unser Startup DoctorDial auch in Deutschland die Früherkennungsrate von Krankheiten erhöhen, wenn wir als Patienten nicht gezwungen wären, Anfahrtswege und Wartezimmer für die Erstberatung in Kauf zu nehmen. Leider sind die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür noch nicht gegeben.

blog:subsahara-afrika: Sie erwähnten eingangs die Anziehungskraft fremder Kulturen auf Sie. Welche Erfahrung im Umgang mit der nigerianischen Geschäftskultur hat Sie besonders beeindruckt?

Keller: Erfolgreiche Firmengründung erfordert häufig ein fast irrationales Maß an Flexibilität, Offenheit und Vertrauen in die Sache. Genau hier konnte ich von Nigeria viel abschauen. Es kommt nicht immer auf die perfekte Planung oder Organisation an. Viele Nigerianer haben große Träume und erstaunliche Kreativität – genau das scheint mir in Zeiten des globalen Umbruchs gebraucht!

ck-2014Nach einer Laufbahn als Unternehmensberater bei IBM und Arthur D. Little sowie als Programmleiter für Global Sourcing bei Swisscom baute Christian Keller mit carmudi (heute Jumia Cars) einen führenden Online-Automarktplatz mit auf. Mittlerweile ist er Mitgründer und CEO von African Founders, welches disruptive Internet-Startups gründet und betreibt. Er hat ein Mannheimer Wirtschaftsinformatik-Diplom, einen MBA der Portland State University (USA) und ist ausgebildeter Life-Coach. Kontakt: www.african-founders.com.

(Bildnachweis: © 00cento – Fotolia.com)

2 Gedanken zu “Interview: Startups gestalten den afrikanischen Wandel

  1. 1988 als Trainee in einem Unternehmen in Freetown, freue ich mich, dass Sierra Leone Herrn Keller so inspirierte, dass er für ganz Afrika denkt.

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