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Megacities in Afrika: Lagos auf dem Weg in die Moderne

Afrikas Millionenstädte wachsen schnell und unaufhaltsam. Die Urbanisierung stellt die Verwaltungen der Metropolen vor riesige Aufgaben, die ihrerseits vielfältige potenzielle Geschäftsmöglichkeiten auch für deutsche Unternehmen beinhalten. Blog:subsahara-Afrika widmet ausgesuchten Megacities in Afrika eine Artikelserie. Mit Lagos steht die Wirtschaftskapitale Nigerias im Fokus des ersten Artikels. Neben einigen historischen und statistischen Daten werden vor allem die laufenden und geplanten Vorhaben im Bereich der Infrastruktur der westafrikanischen Hafenstadt vorgestellt.

Lagos – Schmelztiegel und Herz Nigerias seit 150 Jahren

Auch Nigerias Wirtschaftszentrum, die Hafenstadt Lagos im Nigerdelta am Golf von Guinea, gehört zu den zahlreichen Stätten der „Neuen“ Welt, die von portugiesischen Seefahrern entdeckt und erschlossen wurden. Die erste Besiedlung von Lagos Island erfolgte etwa im 15. Jahrhundert durch die Awori vom Volk der Yoruba, die nach kriegerischen Scharmützeln mit der Armee des Königs von Benin den Ort Eko („Heereslager“ und noch heute der lokale Yoruba-Name für Lagos) nannten. Dort landete im Jahr 1472 der portugiesische Seefahrer Rui de Sequeira, der die Siedlung zuerst Lago (übersetzt See) de Curamo nannte und zu einer Handelsniederlassung ausbaute. Diese erhielt schließlich den Namen Lagos nach der gleichnamigen Hafenstadt im Süden Portugals.

Wichtigster Wirtschaftszweig war zunächst der illegale atlantische Sklavenhandel, den die Portugiesen mit Unterstützung lokaler Könige betrieben. Nach einigen erfolglosen Versuchen der Briten, den Sklavenhandel durch militärische Intervention zu unterbinden, annektierten diese 1861 das Stadtgebiet von Lagos und erklärten das Gebiet ab 1862 zu ihrem Protektorat, das vom benachbarten Kolonialgebiet (Kronkolonie Goldküste) aus verwaltet wurde, und 1886 dann zur eigenständigen Kronkolonie Lagos. Diese wurde ab 1914 zur Hauptstadt der neu errichteten britischen Kolonie Nigeria (Colony and Protectorate of Nigeria) erklärt. Lagos blieb auch nach der Unabhängigkeit 1960 noch weitere drei Jahrzehnte die Bundeshauptstadt Nigerias. Gleichzeitig wurde 1967 das Bundesland Lagos State gegründet, das neben der Stadt Lagos auch sechs weitere Städte um Lagos herum (Ikeja, Agege, Mushin, Ikorodu, Epe und Badagry) umfasst.

Die Stadt Lagos (Lagos City) ist aufgeteilt in sieben Verwaltungszonen, sogenannte Local Government Areas (LGA), während die übrigen Städte im Bundesland Lagos State insgesamt 13 LGA’s bilden. Seit 1976 ist die offizielle Hauptstadt des Bundeslands Lagos State Ikeja, während die Bundeshauptstadt 1991 in das neu gebaute Abuja im Zentrum Nigerias verlegt wurde. Lagos blieb jedoch bis heute das Finanz- und Wirtschaftszentrum Nigerias und ist ebenfalls die bevölkerungsreichste städtische Ansiedlung des Landes, die im Lauf der Zeit nicht nur Menschen aus sämtlichen Regionen Nigerias, sondern auch aus anderen Ländern Westafrikas angezogen hat. Hinzu kamen die aus Übersee zurückgekehrten ehemaligen Sklaven, die aus Freetown (Liberia, Sierra Leone, Brasilien und den westindischen Inseln) nach Lagos zogen und dort als Volksgruppe der Kreolen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Modernisierung der Stadt spielten.

Lagos Mega City in Zahlen

Gesicherte Statistiken gibt es keine für Nigeria, und Schätzungen aus diversen nationalen und internationalen Quellen weichen erheblich voneinander ab: von 11 Mio. (UN, Economist Intelligence Unit/EIU) bis 21 Mio. (National Population Commission of Nigeria), nach anderen Quellen 14 Mio. oder 17 Mio. (Nigeria gesamt: 170 Mio. – 190 Mio.), bei anhaltend hohem, zeitweise zweistelligem Wachstum. Nach offiziellen Angaben (Lagos State Government) ziehen täglich 2.500 Menschen neu nach Lagos, bei einer jährlichen geschätzten Wachstumsrate von 5 bis 6 Prozent. Aber nach wie vor leben zwei Drittel der Bevölkerung in Slums, ohne Zugang zu Wasser, Strom, Abfallentsorgung oder ordentlichen Straßen, aber mit hoher Kriminalitätsrate. Gleichzeitig gibt es in dieser (auch „Megacity of Slums“ genannten) Stadt viele (Dollar-) Millionäre, und hier wird rund ein Viertel des nigerianischen Bruttoinlandsprodukts generiert.

Lagos Mega City Project

Landesregierung und Stadtverwaltung bemühen sich seit Jahren mit wachsendem Erfolg, aus der Stadt – zumindest dem „vornehmen“ Teil davon (Victoria Island, Ikoyi) – Nigerias „Fenster zur Welt“ zu machen. Dazu wurde das sogenannte Lagos Mega City Project / LMCP erarbeitet, womit die zunehmende Infrastrukturkrise bekämpft und die Stadt von der „Megacity of Slums“ zur modernen Metropole umgewandelt werden soll. Ein wesentlicher Faktor des Plans ist vor allem die Beteiligung der privaten Wirtschaft in Form von Public-Private Partnership. Erwartungsgemäß liegt bei einem solchen Programm der Schwerpunkt der Planer auf imageträchtigen Großvorhaben zur Stadtverschönerung – auch wenn dies zum Teil Kritik wegen befürchteter Verstärkung der sozialen Ungleichgewichte hervorruft. Das gewaltigste Projekt in diesem Zusammenhang ist Eko Atlantic City, die 2013 begonnene Anlage eines neuen Nobelstadtteils auf rund 10 Mio. qm neu aufgeschüttetem Land vor der Küste von Victoria Island für 250.000 Bewohner (siehe auch www.ekoatlantic.com/category/latestnews/). Unter der Lagos Megacity-Initiative wurden noch zahlreiche weitere Vorhaben zur Stadtverschönerung mit Hilfe von Public Private Partnership entwickelt (siehe unter www.estateintel.com/lagos-state-unveils-urban-development-projects-for-megacity-initiative/).

Informative Studien und Untersuchungen zu den vielfältigen Herausforderungen der Megacity Lagos für die breite Bevölkerung finden sich unter anderem auf der Website der vor Ort tätigen Heinrich-Böll-Stiftung. Projekte unter dem Stichwort Lagos Megacity betreffen auch Energie- und Wasserversorgung sowie Abwasser- und Abfallentsorgung. Eine breite städtische Stromversorgung würde Berechnungen zufolge etwa 6.000 MW neue Kraftwerkskapazitäten erfordern, ein Vielfaches der im Moment eingespeisten Kapazität in das Stromnetz. Der inzwischen privatisierte Stromversorger Lagos Eko Electricity Distribution Company (EKEDC) vergibt auch Lizenzen an private Kraftwerksbetreiber. Ferner werden neue Trinkwasseraufbereitungsanlagen auf PPP-Basis zur Unterstützung des staatlichen Wasserversorgers Lagos Water Corporation (LWC) geplant. Ebenso werden von der für Abwasserentsorgung zuständigen Regionalbehörde (Lagos State Waste Water Management Office / LSWMO) dringend private Partner für die Installierung von dezentralen Wasseraufbereitungssystemen gesucht . Auch die für die Abfallwirtschaft zuständige Behörde (Lagos Waste Management Authority / LAWMA) kämpft mit großen Problemen, das heißt übervollen Müllhalden, und könnte durch private Recyclingfirmen entlastet werden, die gute Geschäftsaussichten hätten.

Masterplan gegen den Verkehrsinfarkt

Eine zentrale Aufgabe für die Stadtentwickler in Lagos ist die Lösung des Verkehrsproblems. Das vorhandene Straßennetz ist hoffnungslos überfordert von dem ständig wachsenden Verkehr, der für 70% der gemessenen Luftverschmutzung verantwortlich gemacht wird. Der Kfz-Bestand pro Straßenkilometer beträgt 222, jährlich werden 200.000 Fahrzeuge neu registriert. Die über 10 Mio. Pendler brauchen bis zu sechs Stunden täglich für den Weg zur Arbeit und zurück. Um diesem unerträglichen Zustand abzuhelfen, wurde bereits 2009 auf Landesebene von der zuständigen Transportbehörde, Lagos Metropolitan AreaTransport Authority (LAMATA) ein Verkehrsmasterplan – Strategic Transportation Master Plan (STMP) erarbeitet. Dieser umfasst eine Anzahl von Projekten zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf Schienen, Straßen und Wasserwegen in mehreren Phasen der Implementierung, unter Einbeziehung von Public Private Partnership.

Lagos State Budget: Ausbau der Infrastruktur im Fokus

Für die Entwicklung der Millionenstadt Lagos ist es ein glücklicher Umstand, dass der neue Gouverneur von Lagos State Adinwunmi Ambode wie auch sein Vorgänger, Babatunde Fashola (2007 – 2015), eine herausragende Persönlichkeit mit einer Vision für Lagos und dem Willen zur Durchsetzung ist. Der erste Haushalt der neuen Administration ist mit rd. 813 Mrd. Naira (rd. 2,4 Mrd. Euro; siehe auch: vwww.venturesafrica.com/find-out-why-lagos-proposes-record-breaking-budget-for-2017/) der höchste jemals vorgelegte Landeshaushalt Nigerias und legt den Fokus auf die Infrastruktur und hier vorrangig auf den Straßenbau einschließlich Instandsetzung und Wartung (Einzelheiten siehe unter: www.vanguardngr.com/2016/11/ambodes-2017-budget-accommodate-4th-mainland-bridge-lagos-airport-road/). Über 60% des Budgets (etwa 1,5 Mrd. Euro) sind für die Kapitalausgaben eingestellt. Die notwendigen Finanzmittel sollen durch eine Verbesserung des staatlichen Einnahmensystems auf Landesebene, Überweisungen aus dem Zentralhaushalt, internationale Finanzhilfen sowie die Auflage von Staatsschuldverschreibungen generiert werden.

Langfristige Planung: 30 Großvorhaben in fünf Jahren

Gouverneur Ambode hat im Februar 2017 sein neues zwölfköpfiges Team von Wirtschaftsberatern – Economic Advisory Committee – der Öffentlichkeit vorgestellt und die Rechnung für die nächsten fünf Jahre präsentiert: 30 Mrd. US$ mindestens, also 6 Mrd. pro Jahr, werden benötigt für insgesamt 30 Großvorhaben, um das Infrastrukturdefizit von Lagos nachhaltig zu beseitigen. Da solche Beträge – wie Ambode betonte – nicht aus Landesmitteln zu bestreiten sind, ist die erste und wichtigste Aufgabe des Expertenteams die Erarbeitung einer realistischen Finanzierungsstrategie. Das Beratungskomitee ist unabhängig und stammt überwiegend aus dem privaten Sektor (Einzelheiten unter: http://lagosstate.gov.ng/blog/2017/02/06/lagos-needs-30bn-to-execute-30-capital-projects-in-five-years-ambode/). Die Beteiligung der Privatwirtschaft soll ausdrücklich in die Planung einbezogen werden.

Chancen für deutsche Unternehmen

Mit dem Amtsantritt des neuen Gouverneurs und seiner Fokussierung auf Projekte und privaten Sektor macht sich eine Aufbruchstimmung in Lagos breit, die auch von interessierten deutschen Unternehmen genutzt werden kann. Eines dürfte schon jetzt als sicher gelten: Es werden Milliarden Dollar in den nächsten Jahren in die unterschiedlichsten Bereiche der Infrastruktur fließen – und es sollte keinen Grund geben, alles den Chinesen zu überlassen. Auch Julius Berger, die alteingesessene deutsch-stämmige Baufirma, die jeder Nigerianer kennt, kann nicht alles machen – auch für neue Bewerber um öffentliche oder öffentlich-private Aufträge dürfte Platz sein.

Natürlich bleibt Nigeria und speziell Lagos auch weiterhin ein nicht einfaches Terrain für deutsche Unternehmen, doch gibt es inzwischen auch bei deutschen Wirtschaftsvertretern eine umfangreiche Nigeria-Expertise, die interessierte Firmen sich zunutze machen können. Zudem gibt es auch weiterhin als Anlaufstellen die Delegation der Deutschen Wirtschaft sowie auch das deutsche Generalkonsulat in Lagos, die im Verein mit der Deutsch-Nigerianischen Wirtschaftsvereinigung (Nigerian-German Business Association) Hilfestellung bei Kontaktvermittlung mit allen notwendigen Stellen geben können. Es dürfte bei allen Nigeria-Interessierten bekannt sein, dass gerade in diesem Land ohne persönliche Beziehungen und Kontaktvermittlungen nichts läuft. Praktische Informationen zum Geschäftsgebaren in Nigeria enthält unter anderem auch die IHK-Broschüre „Interkulturell kompetent unterwegs in Subsahara-Afrika“.

Kontakte

Dieser Artikel ist Teil der Serie: Megacities in Afrika

(Bildnachweise: el9th – Fotolia.com)

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