Nicht nur zahllose Ableger multinationaler Konzerne zählen zu den größten Unternehmen auf dem Kontinent, sondern auch eine ganze Reihe originär afrikanischer Firmen und Konglomerate. Wer sind diese kaum bekannten afrikanischen Champions? Was dabei vor allem interessiert: Wer sind die Personen hinter den Unternehmen? Wie sind sie groß geworden, und wie erobern sie die afrikanischen Märkte? Welches Geschäftsmodell haben sie, und was können speziell deutsche Unternehmen von ihnen lernen? Eine Auswahl dieser „kontinentalen Meister“ aus verschiedenen Ländern und Branchen wird in einer Artikelserie vorgestellt.
Im Fokus dieses Artikels steht ein noch ein junges Unternehmen, das in nur wenigen Jahren nach seiner Gründung in Nigeria zu einer der meist frequentierten E-Commerce-Plattformen auf dem Kontinent wurde: der Online-Marktplatz Jumia, Kern des inzwischen entstandenen Firmenkonglomerats unter dem Dach der Jumia Group. Das Unternehmen ist nicht zuletzt ein Paradebeispiel für Globalisierung: Gegründet in einem afrikanischen Land von Franzosen, anschubfinanziert von Deutschen, mit einem Technologiezentrum in Portugal, der Firmenzentrale Jumia Technologies AG in Berlin, einem wichtigen Stützpunkt in Dubai sowie einer spektakulären Börseneinführung an der New York Stock Exchange (NYSE).
Unternehmensgeschichte: Panafrikanische E-Commerce-Plattform
Etwa zu Beginn des zweiten Jahrzehnts im neuen Millennium geriet der afrikanische Kontinent zunehmend in den Fokus des Online-Handels, der in der stärker entwickelten Welt bereits wachsende Teile der Verkaufsumsätze in wichtigen Verbrauchssektoren erzielte. In Afrika bildeten eine wachsende Mittelklasse sowie vor allem rasant steigende Zahlen der mobilen Internetnutzer die Basis für das Geschäft von Online-Plattformen in allen wichtigen Konsumbereichen, wie etwa Modeartikel und Elektronikprodukte (siehe dazu auch diesen Blog-Artikel: „E-Commerce in Afrika – Teil 2: Wachstumstreiber“). In diese Zeit fällt auch 2012 die Gründung von Jumia als Online-Handelsplattform in dem nigerianischen Wirtschaftszentrum Lagos, und zwar durch zwei ehemalige Unternehmensberater des US-Consultingkonzerns McKinsey, die Franzosen bzw. Franco-Kanadier Jeremy Hodara und Sacha Poignonnec (siehe dazu auch ein Interview unter: youtube.com sowie: theafricareport.com). Als entscheidender Anstoß für das Engagement gilt vor allem das Zusammentreffen der Jumia-Gründer mit Rocket Internet SE, einem Beteiligungsunternehmen für Start-ups weltweit mit Sitz in Berlin. Diese waren bereits zu der Zeit stark auf Entwicklungsländer fokussiert und hatten schon reichlich Geschäftserfahrungen in dem Sektor. Rocket Internet hatte gerade 2012 in Südafrika den Online-Modeshop Zando gegründet und beteiligte sich über ihre damalige Tochtergesellschaft Africa Internet Group (AIG) auch an der Gründung von Jumia (siehe dazu auch diesen Nigeria-Artikel der E-Commerce-Serie im Blog).Von Anfang an war die neue Plattform auf ganz Afrika ausgerichtet und eröffnete kurz nach der Gründung bereits Niederlassungen in fünf weiteren Schwerpunktländern des Kontinents. Ägypten und Marokko in Nordafrika, Elfenbeinküste bzw. Côte d’Ivoire in Westafrika, Kenia in Ostafrika sowie in Südafrika, wo der Online-Handel bereits seit Ende der 1990er Jahre am Start war (siehe dazu auch den Südafrika-Artikel im Rahmen der E-Commerce-Serie). Schon 2014 kamen weitere Geschäftseröffnungen hinzu in Tunesien, Algerien, Ghana, Kamerun und Uganda, und bis 2018 war Jumia in insgesamt 14 afrikanischen Ländern aktiv. Inzwischen (Stand Ende 2019) wurden die Niederlassungen konsolidiert und umfassen noch Standorte in elf Ländern (vgl. Annual Report 2019). Nach einer Analyse der Verkaufsumsätze 2019 generierte Jumia 43 Prozent der Erlöse in Westafrika, rund 36 Prozent in Nordafrika und gut 20 Prozent in Ost- und Südafrika.
Ebay-Modell, „Black Friday“ für Shopper und Aufnahme in MITs Top-50
Wie dem erwähnten Jahresbericht 2019 zu entnehmen ist, gehören zur Jumia-Gruppe insgesamt 71 verschiedene Unternehmenseinheiten (Vorjahr: 78), darunter Logistikbetriebe für Verpackung, Versendung und Zustellung von Waren, ferner Plattformen für spezielle Dienstleistungen wie Reisebuchungen, Lebensmittellieferungen sowie Zahlungsdienste und darüber hinaus ein eigenes Kreditvergabeprogramm (vgl. businesslive.co.za). Jumia dient sowohl als Plattform für Händler als auch für Käufer von Waren, nach dem Vorbild von „ebay“. Zudem wurde ein besonderes Portal „Jumia Force“ als unabhängiges Verkaufsberatungsprogramm für Bevölkerungsschichten ohne Internetzugang eingerichtet.
Die Geschichte des jungen Unternehmens wird anschaulich in einem Video auf YouTube erzählt. Weitere wichtigste Daten der Firmengeschichte finden sich auch hier. Danach gilt als bedeutender Marketingschritt 2014 in Nigeria die Einführung des sogenannten „Black Friday“ zu bestimmten Terminen mit speziellen Sonderangeboten – wie es dies auch in ähnlicher Weise auf etablierten Plattformen gibt („Amazon Prime Day“). „Jumia Black Fridays“ 2015 etwa zogen nach Angaben der Firma 2,3 Mio. Besucher auf die Plattform. Der nächste Meilenstein in der Firmengeschichte folgte 2016, als Jumia Afrikas erstes „Tech Unicorn“ wird, womit Unternehmen mit einem Wert von über 1 Mrd. US-Dollar (USD) bezeichnet werden. Gleichzeitig wurde Jumia 2016 in die Liste der 50 weltweit besten sogenannten „Smart Companies“ des MIT Technology Review (Massachusetts Institute of Technology) aufgenommen. In diesen ersten Jahren heimste Jumia auch einige Preise ein und gewann zum Beispiel gleich 2013 als erstes afrikanisches Unternehmen die „World Retail Awards“ in Paris.
In Rekordzeit an die NYSE – Ist Jumia eigentlich ein afrikanisches Unternehmen?
Geschichte schrieb die junge Firma im Frühjahr 2019 mit der Börseneinführung Jumias in New York an der NYSE (New York Stock Exchange). Dies sorgte für allgemeines Aufsehen, da sie als erstes afrikanisches Unternehmen an der New Yorker Börse notiert wurde (siehe dazu auch: youtube.com). Die Nachricht galt sofort als wegweisend auch für andere Unternehmungen, da sie die allgemeine (häufig negative) Einstellung zu afrikanischen Playern generell verändern könnte (siehe dazu auch: internationalfinance.com). „Niemand konnte sich jemals vorstellen, dass ein Start-up in fünf bis sechs Jahren ein Unternehmen aufbauen und damit an die NYSE gehen könnte“, sagt ein Branchenexperte aus Lagos.
Wie zu erwarten war, wurde auch gleich von Beobachtern die „Gretchenfrage“ gestellt: Ist Jumia denn überhaupt ein afrikanisches Unternehmen – schließlich sind die Chefs doch Franzosen, die Eigentümer sind überwiegend europäisch, die Technologiezentrale ist portugiesisch, und die wichtigsten Firmenstützpunkte sind Berlin und Dubai. Solchen Fragen begegnen die Firmengründer auch in den zitierten Interviews grundsätzlich mit Verweis auf die ausschließliche Fokussierung Jumias auf den afrikanischen Kontinent, mit Stützpunkten in zahlreichen afrikanischen Ländern, mit generell afrikanischer Belegschaft und afrikanischem Management. Zudem dürfte es – so auch die Meinung der Firmengründer – in Zeiten wachsender Globalisierung müßig sein, Unternehmen nach der Nationalität ihrer Gründer, Eigentümer und Geldgeber zu differenzieren. Gerade in Afrika sind die meisten Gesellschaften multikulturell und von vielen diversen Einflüssen geprägt, so dass sich als einziger sinnvoller Ansatz einer geographischen Differenzierung der Fokus des geschäftlichen Engagements anbietet.
Der „Hype“ um die Börseneinführung ließ den Firmenwert in den ersten Tagen von 1,1 Mrd. auf fast 4 Mrd. USD hochschnellen, doch war dieser Trend nicht von Dauer. Innerhalb weniger Wochen sackte der Wert ab, als Resultat verschiedener negativer Entwicklungen. Das Unternehmen geriet unter öffentlichen Beschuss aufgrund von Berichten über angebliche betrügerische Machenschaften, Verschleierung von Verlusten sowie Vorwürfen von dubiosen Praktiken als Arbeitgeber. Auch die in den Medien geäußerten Zweifel an der „afrikanischen Identität“ der Firma waren nicht hilfreich, und so fiel der Aktienpreis auf nur noch einen Bruchteil des Werts bei Börseneinführung. Es folgten Sanierungsmaßnahmen der Firmenleitung mit Blick auf verbesserte Gewinnerzielung, darunter vor allem der Rückzug aus einigen Ländern (Ruanda, Tansania, Kamerun). Zudem wurden die in ein innerbetriebliches Betrugssystem verwickelten Angestellten und Agenten entlassen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich das Pandemiejahr 2020 auf das Jumia-Geschäft ausgewirkt hat, insbesondere durch den Lockdown in mehreren afrikanischen Märkten mit entsprechend negativen Folgen (Konsumdämpfung, Logistikstörungen). 2019 konnte zwar erstmals im 4. Quartal ein Bruttogewinn von etwa 1 Mrd. Euro ausgewiesen werden, doch der insgesamt ausgewiesene Verlust stieg noch einmal um gut ein Drittel auf knapp 230 Mio. Euro. Als eine Antwort auf die Pandemie ist Jumia im März 2020 eine Kooperation mit Reckitt Benckiser, dem globalen Hersteller von Gesundheitsbedarf, eingegangen. Ziel ist die Versorgung afrikanischer Konsumenten mit Hygieneprodukten zu möglichst niedrigen Preisen. Die letzten vorliegenden Quartalzahlen aus 2020 zeigen einen positiven Trend in Richtung Profitabilität.
Eigentümer und Management: Viele Anleger – Profis im Vorstand
Zum Zeitpunkt der Einberufung der virtuellen Hauptversammlung der Jumia Technologies AG im Juni 2020 betrug das Grundkapital der Gesellschaft rund 157 Mio. Euro, eingeteilt in ebenso viele Stückaktien, die in der Hauptversammlung jeweils eine Stimme haben. Die Gesellschaft hielt zum Zeitpunkt der Einberufung keine eigenen Aktien. Die Aktienpreise haben sich seit dem Einbruch nach Börseneinführung 2019 erholt und liegen derzeit (Februar 2021) etwa zwischen 50 und 60 USD, jedoch im Zeitverlauf mit starken Schwankungen. Ein Kapitalbetrag von rund 243 Mio. USD wurde zuletzt im Dezember 2020 durch den Verkauf von rund 8 Mio. Aktien zum Durchschnittspreis von 30,5 USD generiert.
Rocket Internet hat seinen Anteil von 11 Prozent im April 2020 verkauft, als die Verluste des letzten Quartals 2019 bekannt wurden. Der Ausstieg der Deutschen aus dem afrikanischen Start-up hing zusammen mit dem 2020 eingeleiteten Rückzug der Berliner Firma von der Börse und der geschäftlichen Umorientierung der Haupteigentümer, der Samwer-Brüder aus Köln. Nunmehr gehören zu den größten Anteilseignern an Jumia Technologies AG einige international tätige Investmentgesellschaften wie vor allem die britische Baillie Giffort & Co. (rund 11 %), AXA Investment Managers aus Paris (rund 7 %), aus New York Penserra Capital Management LLC aus New York (2 %) sowie Lazard Asset Management LLC (1 %) und noch einige weitere hauptsächlich US-amerikanische Investmentfirmen mit jeweils zwischen 0,5 und 1 Prozent. Hinzu kommen als institutionelle Anleger noch zahlreiche internationale Investmentfonds, an erster Stelle Vanguard International Growth Fund mit annähernd 9 Prozent sowie Fidelity Blue Chip Growth Fund mit rund 2 Prozent. Eine Reihe weiterer Investmentfonds halten zwischen 0,1 und 1 Prozent Anteile an Jumia (siehe dazu money.cnn.com).
Die beiden Gründer von Jumia sind Profis im internationalen Handel, E-Commerce und Logistikgeschäft und leiten das Unternehmen gemeinsam als Doppelspitze. Jeremy Hodara besitzt einen Masterabschluss in Business Management von der HEC School of Management in Paris und war vor seinem Einstieg bei Jumia sechs Jahre lang sogenannter Engagement Manager (Kundenbetreuung im weitesten Sinne) bei McKinsey and Company, mit Spezialgebiet Einzelhandels- und E-Commerce-Consulting. Sacha Poignonnec besitzt einen Masterabschluss in Finanzwesen von der EDHEC Business School in Frankreich und war vor seinem Einstieg bei Jumia Associate Partner bei McKinsey mit Spezialgebiet Einzelhandel und Verpackungstechnik.
Umfangreiche Expertise und internationale Erfahrung im Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat besteht aus acht Personen unterschiedlicher Nationalität – darunter Europäer, US-Amerikaner und Afrikaner – , die alle professionelle Erfahrungen im Bereich internationaler Handel und Technologie sowie teilweise auch Stiftungen u. Ä. haben. Vorsitzender ist der US-Amerikaner Jonathan D. Klein, der einen Juraabschluss der University of Cambridge besitzt und Mitbegründer und langjähriger Chairman der US-Bildagentur Getty Images war. Klein sitzt auch noch in den Vorständen zahlreicher weiterer internationaler Wohltätigkeitsorganisationen. Gilles Bogaert hat einen Abschluss von der französischen ESCP Business School und war lange Jahre im Management des französischen Spirituosenkonzerns Pernod Ricard. André T. Iguodala ist ein US-Basketball-Profi von der Westküste mit zahlreichen größeren Investitionsengagements in den sogenannten Bay Area Medien- und Technologieunternehmen in San Francisco.
Blaise Judja-Sato besitzt mehrere Abschlüsse in Betriebswirtschaft, Ingenieurwissenschaften und Mathematik aus USA und Frankreich und war unter anderem Direktor der International Telecommunication Union (ITU), Regionalmanager bei der US-Telekommunikationsgesellschaft AT&T sowie Gründer und Präsident der Nelson Mandela Foundation USA. Angela Kaya Mwanza besitzt einen MBA von der US-amerikanischen Privatuniversität Cornell University sowie einen Bachelor und Master in Linguistik von der Universität Konstanz. Sie hat diversen sozialen Organisationen gedient und wurde 2018 in die Forbes-Liste der 46 internationalen Führungspersönlichkeiten auf dem Gebiet des sogenannten „private wealth management“ aufgenommen. Alioune Ndiaye hat Telekommanagement und Finanzwesen in Paris studiert und war zehn Jahre CEO der Telekomgesellschaft Orange Mali und anschließend sechs Jahre CEO von Sonatel in Senegal.
Matthew Odgers hat Wirtschaftswissenschaften an der britischen Bristol University studiert und ist seit 2015 Leiter der Entwicklungsabteilung bei MTN, dem größten Telekomanbieter in Afrika und Nahost; davor war er über 14 Jahre Investmentbanker bei der Schweizer Großbank UBS mit Zuständigkeit für Technologie, Medien und Telekommunikation in Afrika und Nahost. John H. Rittenhouse besitzt mehrere Universitätsabschlüsse in Business Administration und ist Gründer und CEO der US-Investmentgesellschaft Cavallino Capital LLC; er war unter anderem verantwortlich für betriebliches Risikomanagement bei dem internationalen Consultant KPMG LLP und Leiter der Logistikabteilung bei Wal-Mart USA.
Weiterlesen
Lesen Sie im übernächste Woche erscheinenden Teil 2 unter anderem über das Geschäftsmodell des Unternehmen: Jumia – das Amazon des Kontinents? (Teil 2) (08.03.2021).
Lesen Sie hier auch die spannenden Geschichten weiterer afrikanischer Champions:
- Cosumar aus Marokko – Marktführer im Agroindustrie-Geschäft (07.06.2021)
- Elsewedy Electric – Global Player aus Ägypten (11.01.2021)
- East African Breweries – eine fast hundertjährige Erfolgsgeschichte (30.11.2020)
- Shoprite – das Retail-Imperium aus Südafrika (26.10.2020)
- Dangote Cement – Megaplayer aus Nigeria (10.08.2020)
(Bildnachweise: group.jumia.com – Warehouse Morocco)
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