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Afrikas Champions: “Überflieger” Ethiopian Airlines

Nicht nur zahllose Ableger multinationaler Konzerne zählen zu den größten Unternehmen auf dem Kontinent, sondern auch eine ganze Reihe originär afrikanischer Firmen und Konglomerate. Wer sind diese kaum bekannten afrikanischen Champions? Was dabei vor allem interessiert: Wer sind die Personen hinter den Unternehmen? Wie sind sie groß geworden, und wie erobern sie die afrikanischen Märkte? Welches Geschäftsmodell haben sie, und was können speziell deutsche Unternehmen von ihnen lernen? Eine Auswahl dieser „kontinentalen Meister“ aus verschiedenen Ländern und Branchen wird in einer Artikelserie vorgestellt.

Im Fokus dieses Artikels steht Ethiopian Airlines, die nationale Fluggesellschaft Äthiopiens, die seit Jahrzehnten als eine der – seit einigen Jahren sogar als die – Top-Fluglinie des Kontinents gilt. Ihren Ruf und ihre Standards hat sich die Airline auch über die langen Krisenperioden der Vergangenheit (und der Gegenwart) erhalten können.

Unternehmensgeschichte: Mit US-Geburtshilfe bis an die Spitze 

Äthiopiens nationaler Carrier begann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg seinen unaufhaltsamen „Steilflug“ in den afrikanischen Himmel noch unter Kaiser Haile Selassie. Dieser bat die USA um Unterstützung bei der Modernisierung des zu den weltweit ärmsten Ländern gehörenden Staates und speziell bei seinem Prestigeprojekt der Gründung einer neuen Fluglinie (siehe dazu hier). So wurde die Keimzelle der neuen Fluggesellschaft ein Joint Venture mit TWA – Trans World Airline unter dem Namen „Ethiopian Air Lines Inc.“ (EAL) mit dem Kauf von fünf ausrangierten Douglas C-47 Skytrain-Militärmaschinen. Damit wurde ab April 1946 ein wöchentlicher Flugverkehr zwischen den Hauptstädten Addis Abeba und Kairo/Ägypten sowie kurze Zeit später auch mit Djibouti und Aden/Jemen eingerichtet, außerdem eine inländische Route nach Jimma im Südwesten Äthiopiens. Im Lauf eines Jahres wurden sieben weitere Militärmaschinen der US-Regierung abgekauft und drei davon mit den für internationalen Flugverkehr erforderlichen „Bequemlichkeiten“ ausgestattet. Bis Ende der 1940er Jahre wurde das Flugstreckennetz der jungen Airline mit dem farbenfrohen, grün-gelb-roten Logo der Nationalflagge ausgeweitet auf die neuen Destinationen Nairobi/Kenia, Port Sudan und Bombay(Mumbai)/Indien. Ergänzt wurde das Angebot durch Charterflüge nach Jeddah in Saudi-Arabien während der Hadsch-Pilgersaison (siehe zur Geschichte von EAL etwa hier).

Bis Anfang der 1950er Jahre waren bereits über 20 äthiopische Städte mit der Hauptstadt durch Passagier- und Frachtflüge verbunden, was in dem topographisch schwierigen Gebirgsland mit unzureichendem Straßennetz ein wichtiger verkehrspolitischer Fortschritt war. Zwei neue, moderne Convair-240-Maschinen der US-Firma Consolidated Vultee Aircraft Corp. wurden für die internationalen Flüge in Betrieb genommen. Diese erste zweimotorige Linienmaschine mit einer Druckkabine und daher geeignet für größere Flughöhen konnte 40 Passagiere befördern und verfügte über eine Reichweite von knapp 2.000 km. Ein wichtiger Meilenstein für die Äthiopier kam 1957: In dem Jahr machte erstmals ein äthiopischer Pilot einen Soloflug als Flugkapitän einer DC-3/C-47 Maschine.

Die äthiopische Regierung hatte nämlich 1953 einen neuen Vertrag mit TWA ausgehandelt, in dem das Ziel festgeschrieben wurde, die Fluglinie vollständig mit einheimischem Personal zu fliegen. Dazu wurde in Addis Abeba eine nationale Ausbildungsstätte – National Airline Training Project – für die Ausbildung von äthiopischen Piloten, Technikern und Kontrolleuren errichtet. Gleichzeitig wurde in der Hauptstadt eine eigene Werkstatt zur Flugzeugwartung aufgebaut, womit sich die Notwendigkeit für Wartungsarbeiten in Übersee entsprechend reduzierte. Im Lauf der kommenden Jahre gelang es, die Betriebsstätte zu einem gut ausgestatteten Zentrum für Wartung, Überholung und Modernisierung von Flugzeugen, Flugzeugmotoren und Avioniksystemen auszubauen, das auch von anderen Airlines in der Region genutzt wurde. Ganz unabhängig von ausländischen Trainingszentren wurden die Äthiopier ab 1977, als der erste Flugsimulator für die Boeing 720B in Dienst gestellt wurde, der später weitere für die nachfolgenden Modelle wie Boeing 767 und 757 folgten.

Neuer Flughafen für Jet-Zeitalter und erste Ost-West-Verbindung Afrikas

1957 war unter anderem für die deutsch-äthiopischen Beziehungen ein wichtiges Jahr, weil Frankfurt in das Streckennetz der äthiopischen Airline eingefügt wurde. Für die Langstreckenflüge wurden 1958 die viermotorigen DC-6B Cloudmasters bei Douglas in den USA erworben für rund 70 Passagiere. Und 1960 trat EAL in das Jet-Zeitalter ein, mit der Entscheidung für die Boeing 720B, womit sich jedoch auch die Notwendigkeit ergab, geeignete lange Landebahnen zu bauen. Da der 1936 gebaute Flughafen Lidetta in der Hauptstadt nicht für Jets geeignet war, wurde entschieden, einen völlig neuen Flughafen mit neuer Firmenzentrale bei Bole in der Nähe von Addis zu bauen.

Ein Meilenstein für Afrika wurde von EAL 1961 geschaffen: mit der ersten Ost-West-Verbindung auf dem Kontinent, nach Monrovia/Liberia über Khartoum/Sudan und Accra/Ghana. Der Ost-West-Flugverkehr sollte für mehr als drei Jahrzehnte ein „Monopolangebot“ der Äthiopier bleiben – bis Mitte der 1990er Jahre Konkurrent Kenya Airways in Kooperation mit KLM auch den Westen Afrikas quer über den Kontinent anflog. Bis zu diesem Zeitpunkt ging der zwar sparsame, aber durchaus vorhandene Reisebedarf etwa von Geschäftsreisenden aus Ostafrika grundsätzlich über Addis – wenn man nicht die von manchen sogar vorgezogene Reiseroute über Europa nehmen wollte, wie etwa über Paris mit Air France in die frankophonen Länder Westafrikas oder auch etwa über Frankfurt mit Lufthansa nach Nigeria. In diesem für Beobachter merkwürdig erscheinenden Mangel der Luftverkehrsinfrastruktur des Kontinents offenbarte sich ein typisches Kennzeichen der Handelsströme Afrikas: Diese sind traditionell noch heute tendenziell stärker ausgeprägt mit den ehemaligen Kolonialmächten in der Nord-Süd-Verbindung als mit anderen afrikanischen Ländern und Regionen in West-Ost-Richtung. Die schwächsten Verbindungen waren lange Zeit, und sind es eigentlich bis heute, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den französisch- und den englischsprachigen Ländern Afrikas.

Und so füllte Ethiopian Airlines – wie sich EAL offiziell ab 1965 nannte – eine Marktlücke für viele Afrikareisende: nämlich mit der vom Volksmund „Lumpensammler“ getauften Boeing 720B, die von Addis Abeba am Horn von Afrika bis nach Dakar/Senegal am äußersten Westzipfel des Kontinents auf mehreren Zwischenstopps die Passagiere einsammelte: vor allem in Lagos/Nigeria, Accra/Ghana, Monrovia/Liberia und Abdjan/Côte d’Ivoire. Da die eine Maschine immer rund flog, konnten Verspätungen oft nicht vermieden werden, wenn es an einzelnen Flughäfen beim Hin- oder Rückflug zu Verzögerungen kam. Aber die Reisenden sahen es den Äthiopiern nach, die ihnen immerhin in Afrika einen „exklusiven“ Routenservice boten.

Die Äthiopier waren auch die erste Fluglinie in Afrika, die seit Anfang der 1960er Jahre mehrere Boeing 720B Maschinen in Dienst stellten und im Rahmen ihrer Kooperationen mit regionalen Airlines wie Aden Airways und Sudan Airways einsetzten. Eine wichtige Kooperation wurde schließlich ab 1964 mit Alitalia eingegangen und der wöchentliche Flugverkehr nach Rom aufgenommen. Schließlich kaufte Ethiopian Airlines auch als erste afrikanische Fluglinie Ende der 1960er Jahre zwei Boeing 707-320 Cs, die weltweit am meisten verbreitete Variante der Boeing 707 für den Langstrecken-Fracht- und Passagierverkehr. Ergänzt wurde die wachsende äthiopische Flotte durch einige gebraucht gekaufte Boeing 720Bs von Continental Airlines sowie später mehrere der damals populären Dash 7-Propellermaschinen von de Havilland Canada für den Regionalverkehr.

Die Krisenjahre: Kapitalistisches Erfolgsmodell unter marxistischer Regierung

Mit der weltweiten Ölkrise begannen für Äthiopien Mitte der 1970er Jahre fast anderthalb Krisenjahrzehnte, eingeläutet durch den Sturz des Kaisers und die Installierung eines marxistischen Militärregimes (Derg) unter dem Diktator Mengistu Haile Mariam. Dass Ethiopian Airlines diese rund 16 Jahre Bürgerkrieg letztlich – trotz Verlusten und zeitweiser Liquiditätsprobleme – im Großen und Ganzen unbeschadet überstand, muss durchaus als eine Art „Wunder“ angesehen werden. Hierfür war vor allem ausschlaggebend, dass selbst die autoritäre Regierung des berüchtigten Mengistu-Regimes die wirtschaftliche und betriebliche Selbständigkeit der Airline nicht antastete – sie vielmehr als eine Art kapitalistisches Erfolgsmodell unter marxistischer Regierung gewähren ließ, wie es ein Kommentator einmal zutreffend beschrieben hat. Das bedeutete vor allem auch: Westliches Fluggerät statt sowjetischer Maschinen aus dem „sozialistischen Bruderland“ für den nationalen Carrier.

Anfang der 1990er Jahre brach auch in Äthiopien wie überall in den lange sozialistisch regierten Staaten Afrikas die neue Zeit an mit Einführung eines Mehrparteiensystems, wenn auch in einer speziell äthiopischen autokratischen Variante. Ethiopian Airlines expandierte weiter in ruhigerem Fahrwasser und konnte zur Feier ihres 50jährigen Bestehens 1996 wichtige Überseedestinationen in Europa und Asien in ihr Streckennetz einfügen, wie vor allem China und Thailand, nachdem New York und Washington bereits seit Anfang der 1980er Jahre angeflogen wurden. Die Expansion der Überseedestinationen wurde stetig fortgeführt und umfasste allein im Finanzjahr 2017/2018 acht neue weltweite Anflughäfen, darunter Antananarivo/Madagaskar, Oslo/Norwegen, Jakarta/Indonesien, Singapur, Chengdu/China und Buenos Aires/Argentinien. In dem Zeitraum wurden mehr als eine Maschine pro Monat neu gekauft. Im Jahr 2016 hatten die Äthiopier als erste afrikanische Airline den neuen Großraum-Airbus A350 XWB 900 in Dienst gestellt.

Ein trauriges Kapitel in der Geschichte der insbesondere in ihrer jüngeren Vergangenheit so erfolgsverwöhnten Airline ist der Absturz einer vier Monate alten Boeing B737 MAX im Jahr 2019. Bei diesem Unfall, der sich nur Minuten nach dem Start der EAL-Maschine vom Bole International Airport ereignete, kamen alle 157 Menschen an Bord ums Leben. Der Crash führte zur weltweiten Einstellung des Betriebs dieses neuen Boeing-Modells. Dabei war Ethiopian Airlines von Anfang an bekannt für ein strenges Sicherheitskonzept – darunter zum Beispiel der Grundsatz „nur EIN Versuch“. So kann es zum Beispiel Passagieren auf dem Flug von Addis nach Djibouti durchaus passieren, dass die Reise nach kurzer Zeit wieder in Addis endet, wenn der als Zwischenstopp angeflogene kleine Flughafen in der äthiopischen Stadt Dire Dawa wegen Nebel und fehlender Landehilfen nicht sicher angeflogen werden kann.

Eigentümer und Management: Emanzipation und Stallgeruch

Nach 25 Jahren der personellen und betrieblichen Unterstützung durch den US-Partner TWA erlangte Ethiopian Airlines 1971 ihre Selbständigkeit und nahm ab dann nur noch beratende Dienste der Amerikaner in Anspruch. Ab diesem Zeitpunkt bestand die gesamte Belegschaft aus Äthiopiern, mit Colonel Semret Medhane als erstem einheimischen Firmenchef, der zuvor fünf Jahre lang die Position des stellvertretenden General Manager bekleidet hatte. Bereits 1965 hatte das Unternehmen seinen Rechtsstatus von einer Gesellschaft (corporation) in eine Aktiengesellschaft (share company) geändert, an der der äthiopische Staat bis heute 100 Prozent der Anteile hält.

Besondere Berühmtheit hat der von 2011 bis 2022 amtierende CEO an der Spitze von Ethiopian Airlines, Tewolde Gebremariam, erlangt, unter dem sich die wichtigsten Kennzahlen – wie Umsatz, Passagiere, Flugzeugflotte – vervielfachten und die Airline jahrelang Top-Preise von internationalen  Luftfahrtorganisationen einheimste. Der vorzeitige Rücktritt des ethnischen Tigrayers im März 2022 – angeblich aus gesundheitlichen Gründen – warf bei Beobachtern viele Fragen auf, eingedenk der sich zuspitzenden Krise im Konflikt zwischen Zentralregierung und der Nordprovinz Tigray.

Nachfolger ist der studierte Ingenieur Mesfin Tasew Bekele, wie schon Tewolde Jahrzehnte lang in leitender Funktion im Unternehmen tätig und Absolvent der Universität Addis Abeba sowie der UK Open University. Ihm geht der Ruf voraus, ein besonders „zugeknöpfter“ Manager zu sein, der nicht auf Social Media aktiv ist und keinerlei Informationen über sein Privatleben nach außen lässt. Im Job ist Bekele bekannt vor allem für Pünktlichkeit, Planerfüllung, Kostenbewusstsein und Technikaffinität: Die Digitalisierung der gesamten Logistikkette ist vorgesehen und wurde Anfang 2022 mit einer mobilen App für die Frachtkunden gestartet.

Die rund 17.000 Beschäftigten werden von einem neu errichteten Managementteam – Board of Management – geführt, dem insgesamt 19 Personen, darunter nur zwei Frauen, angehören. Auch sie sind überwiegend seit vielen Jahren  Mitarbeitende der Airline.

Geschäftsmodell und Strategie: Mit Expansion, Restrukturierung und Beteiligungen ganz nach oben

Noch bis etwa 2005 lag Ethiopian Airlines bezüglich Passagierzahlen und Flotte hinter den wichtigsten Konkurrenten wie EgyptAir, South African Airways (SAA) und Kenya Airways zurück. Damals begannen die Äthiopier zusammen mit kostensenkenden Maßnahmen gleichzeitig eine aggressive Marketingkampagne und Expansionsstrategie, die in wenigen Jahren die Passagierzahlen von 3 Mio. (2010) bis über 13 Mio. (2019) und damit auf die Top-Position in Afrika hochschnellen ließen. Der 2010 als „Vision 2025“ gestartete Wachstumsplan beinhaltet sogar eine weitere Steigerung der Passagierzahlen auf insgesamt 18 Mio. und eine Verdopplung der Flugzeugflotte im gleichen Zeitraum (siehe dazu hier).

Eine Reorganisation der Firmenstruktur wurde 2017 durchgeführt mit der Errichtung einer Luftfahrt-Holdinggesellschaft – Aviation Holding Group – mit diversen strategischen Unternehmenseinheiten etwa für Flughafenbetrieb, Passagierbeförderung, Frachtabteilung und Logistikgesellschaft. Als Ziele der Umstrukturierung wurden vor allem Maximierung der Effizienz, Kundenservice nach globalem Standard und Erleichterung langfristiger Planung vorgegeben.

Kurz vor der Jahrtausendwende wurde ein eigenes Frequent Flyer-Programm, „ShebaMiles“, gestartet, und seit 2008 ist die Fluglinie durch ein Code-Sharing-Arrangement mit Lufthansa, Brussels Airline und anderen in dem als weltweit größten geltenden Star Alliance-Netzwerk verbunden. Neben dem stetig ausgeweiteten Verkehr über seinen Heimat-Hub Addis Abeba wurde das internationale Geschäft zusätzlich gefördert durch Investitionen in andere Airlines, speziell im südlichen Afrika. Dazu gehörten vor allem die Übernahme von 49 Prozent der Malawi Airlines und die Errichtung von Joint Ventures wie ASKY Airlines in Togo, Ethiopian Mozambique Airlines und Zambia Airways. Gegenwärtig wird zudem über Sondierungen zu einem Joint Venture mit der seit der Pandemie stark angeschlagenen SAA berichtet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Ethiopian Airlines selbst, durchaus im Gegensatz zu vielen internationalen Fluggesellschaften (Lufthansa!), ohne Staatshilfen durch die Coronakrise kam, wenn auch nicht ohne Einbußen.

(Bildnachweis: Ethiopian Airlines)

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