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Herausforderung Distributionslogistik (Teil 2): Geocodes und Marketplaces

Die Transportinfrastruktur ist in den Ländern südlich der Sahara in punkto Umfang und Qualität in weiten Bereichen unterentwickelt. Das stellt für die Güterdistribution in der Region eine große Herausforderung dar. Durch neue, innovative Technologien kann die Effektivität in der Distribution aber schon kurzfristig gesteigert werden, insbesondere im problematischen Bereich der „letzten Meile“. Welche aktuellen technologischen Ansätze bereits auf dem Kontinent zur Anwendung kommen, darüber schreiben Prof. Philipp von Carlowitz und Paul Reichert von der ESB Business School der Hochschule Reutlingen* in einem zweiteiligen Artikel auf blog:subsahara-afrika.

Während man es in westlichen Ländern gewohnt ist, jeden Ort über eine postalische Adresse zu finden, ist dies in vielen Entwicklungsländern nicht der Fall. Weltweit besitzen über 4 Milliarden Menschen keine postalische Adresse. Vor allem in ländlichen Gebieten und Armenvierteln mangelt es in Subsahara-Afrika häufig an Adressen abseits der Hauptstraßen. Dies schränkt folglich den möglichen Absatzmarkt ein, der effizient beliefert werden kann, was z. B. ein großes Problem im Bereich des Onlinehandels ist, wo Potentiale aufgrund dieser Distributionsproblematik nur unvollständig adressiert werden können. Zustellunternehmen haben sich daher Umgehungslösungen überlegt, die deutlich ineffizienter und kostenintensiver sind: Kunden geben die nächstgelegene, verfügbare postalische Adresse im Bestellprozess ein und der Zusteller ruft den Kunden auf seinem Mobiltelefon an, sobald er an der genannten Adresse ankommt. Dort wartet der Zusteller, bis der Kunde ihn – oft zu Fuß –  erreicht, um das Paket zu übergeben.

Geokodierungstechnologie zur Lösung des Adressproblems

Diesem Problem wirken koordinatenbasierte Geokodierungssystem entgegen. Orte sind durch Koordinaten leichter und genauer zu ermitteln als postalische Adressen, was die Zuverlässigkeit der Last-Mile-Logistik erhöht und den erreichbaren Absatzmarkt erheblich vergrößert. Dadurch sind mehr Zustellungen in der gleichen Zeit möglich, wodurch Kosten reduziert werden können. Dazu wurden Geokodierungssysteme entwickelt, welche geografische Koordinaten in eine Standortadresse umkodieren, beispielsweise in eine Zahlenfolge, Buchstabenfolge oder Wortfolge. Die zwei gängigsten, marktführenden Anbieter von Geokodierungssystemen sind Google mit seinen Google Plus Codes und das in London ansässige Unternehmen what3words. Beide Anbieter haben den gesamten Globus in 3×3 Meter große Quadrate aufgeteilt und mit einem einzigartigen Code versehen. Während Google eine Zeichenfolge aus unverwechselbaren Zeichen nutzt, verwendet what3words drei Wörter. Beispielsweise lautet der einzigartige Code für die Spitze des Kilimanjaros „repair.speeds.kilowatts“ bei what3words und „W9M4+26H“ im System der Google Plus Codes.

Laut CEO und Gründer von what3words, Chris Sheldrick, „besteht eine der größten Herausforderungen für globale Logistikunternehmen darin, einen standardisierten Weg zu finden, um Lieferziele zu finden und zu bestätigen“. NIPOST, die nigerianische Post, nutzt schon seit 2017 das Geokodierungssystem von what3words, um die Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung beliefern zu können. Dabei soll die Anzahl der adressierbaren Bevölkerung innerhalb weniger Jahre drastisch von 20% (2017) auf über 90% steigen. Für die Zustellung auf der letzten Meile in Gebieten ohne postalische Adressen hat die Technologie der Geokodierungssysteme folglich revolutionären Charakter: Dadurch können unnötige Wartezeiten bei der Auslieferung reduziert werden.

Marketplace-Plattformen erhöhen die Effizienz der Distributionslogistik

Während das weltweit bekannte Transportdienstleistungs-Unternehmen Uber eine Plattform zur Vermittlung von Personentransport bereitstellt, schießen auch immer mehr Plattformen zur Vermittlung von Logistikdienstleistungen aus dem (afrikanischen) Erdboden. Die Vermittlung dieser Dienstleistungen wird von Technologie-Start-Ups, welche digitale Marktplätze anbieten, ermöglicht. Dank sogenannter Marketplace-Plattformen wird vom Nachfrager nur so viel Transportkapazität und Lagerkapazität genutzt und bezahlt, wie benötigt wird – und Anbieter von Transportdienstleistungen können aufgrund der Vielzahl an Nachfragern ihre Auslastung maximieren.

Ein Beispiel einer erfolgreichen Marketplace-Plattform in Subsahara-Afrika ist das nigerianische Unternehmen Kobo360. Auf Kobo360 werden Unternehmen, die Transportdienstleistungen nachfragen, durch den intelligenten Algorithmus der Kobo360 Plattform automatisch mit einem der über 50.000 Transportdienstleister verbunden. Kobo360 achtet sehr darauf, dass Kunden dauerhaft den aktuellen Echtzeit-Stand der Lieferungen einsehen zu können. Aufgrund der enormen Transportkapazität und einer physischen Präsenz in sieben Ländern Subsahara-Afrikas ist die Transportzeit via Kobo360-gebuchter Transporte international möglich und dabei bis zu dreimal kürzer als der Industriestandard. Anbieter von Transportdienstleistungen profitieren von einer besseren Auslastung, besserer Planungssicherheit und Transportraten, die über dem Marktdurchschnitt liegen. Auf der Nachfrageseite profitieren große Unternehmen wie Unilever, Maersk und Procter & Gamble von einer kostengünstigeren, schnellen, transparenten, skalierbaren und effizienten Transportdienstleistung. Tobi Adeniyi, Logistikvorstand von Unilever Nigeria, lobt die Zusammenarbeit: „Wir freuen uns sehr, dass die Partnerschaft zwischen Unilever Nigeria und Kobo360 weiter nachhaltig wächst. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt, denn es wird sicherlich noch mehr kommen“. Entsprechend wurde Kobo360 von Unilever Nigeria als Best Transporter of the Year 2021 ausgezeichnet.

Das Start-Up Lori Systems aus Kenia betreibt laut Gründer Josh Sandler ebenfalls eine Logistik-Marktplatz-Plattform „mit dem Ziel, die Produktkosten in Entwicklungsländern zu senken“. CEO Uche Ogboi unterstreicht das Problem der Distributionslogistik in Afrika: „Nirgendwo ist der Transport von Waren so teuer wie in Afrika“.

Marketplace-Plattformen für die Logistik vereinfachen Unternehmen den Markteintritt nach Afrika erheblich: Die aufwendige Suche nach Logistikpartnern entfällt, das finanzielle Risiko wird durch die Plattform reduziert und der Ausfall eines Dienstleisters kann schnell vom nächsten verfügbaren Transportdienstleisters über die Plattform kompensiert werden, ohne dass sich Unternehmen umständlich auf die Suche nach neuen Logistikpartnern machen müssen. Entsprechend glaubt Jean-Claude Homawoo, Co-Gründer von Lori Systems, dass der Logistiksektor von entscheidender Bedeutung für die Transformation der Wirtschaft Afrikas ist: “Wenn wir die Logistik effizienter gestalten können, sind die Möglichkeiten grenzenlos“.

Die Nutzung von innovativen Technologien im Bereich der Distributionslogistik kann Unternehmen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil verhelfen

Die Drohnentechnologie hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, die Blutkonserven-Distributionslogistik eines ganzen Landes zu revolutionieren. Außerdem kann die Drohnendistribution auf andere (medizinische) Güter ausgeweitet werden, um die Herausforderungen von schlechten Straßen und schwieriger Erreichbarkeit ruraler Gegenden per Lieferung aus der Luft zu umgehen. Allerdings sind Drohnen kein Allheilmittel für die Logistikherausforderungen in Subsahara-Afrika. Sie bieten aktuell nur für kleine, leichte und wertvolle Lieferungen ein rentables Geschäftsmodell. Lieferungen von voluminösen oder schwereren Produkten müssen weiterhin konventionell distribuiert werden und sind vom Straßennetz abhängig.

Dank der Geokodierungstechnologie wird es Logistikunternehmen erheblich vereinfacht, Kunden beliefern zu können und Adressen weltweit zu standardisieren. Ist die Internet-Infrastruktur aber nicht ausreichend ausgebaut, um Bestellungen online zu tätigen oder die eigene Adresse über das Internet ausfindig zu machen, ist die Geokodierungstechnologie aus kommerzieller Sicht nur von eingeschränktem Nutzen. Ähnliches gilt für Marketplace-Plattformen: Auch hier ist eine entsprechende Internet-Infrastruktur notwendig, um Dienstleistungen anbieten, buchen und in Echtzeit nachverfolgen zu können. Die schlechte Verkehrsinfrastruktur ist auch für Nachfrager von Transportdienstleistungen über innovative Marketplace-Plattformen weiterhin eine Herausforderung – schlechte Straßen, viele Unfälle und häufige Kontrollen treiben Transportdauer und Transportkosten nach wie vor in die Höhe.

Nichtsdestotrotz verbessern technologische Innovationen die logistischen Rahmenbedingungen in Subsahara-Afrika. Dies zeigt sich auch am rapiden Wachstum und den erfolgreichen Finanzierungsrunden der Technologie-Start-Ups im Bereich der Distributionslogistik. Außerdem verbessert sich die für das Skalieren von innovativen Technologien oft so wichtige Internetverbreitung in Subsahara-Afrika rasant: Innerhalb von 10 Jahren hat sich die Internetnutzung von 6,8% der Einwohner im Jahr 2010 auf 29% der Einwohner im Jahr 2019 mehr als vervierfacht und die IKT-Infrastruktur wird kontinuierlich ausgebaut. Somit wird der Einsatz dieser kostensenkenden und die Distribution beschleunigenden Technologien zunehmend nutzbar.

Hier geht es zu Teil 1 des Artikels, der sich mit dem Einsatz von Drohnen auf der “letzten Meile” befasst.

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Doing Business in Africa Forschungsprojekts entstanden, Teil der wirtschaftswissenschaftliche Clusterforschung Afrika, finanziert durch Mittel des deutschen Bundestags, gefördert durch das BMWK und BMF.

(Bildnachweis: Kobo360)

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